Foto: Privat

Warum Perfektionismus schadet und wie du ihn ablegst

Hörst du auch immer wieder die Perfektionismus-Peitsche, wie sie in deinem Rücken zischt und knallt? Fühlst du dich getrieben von deinen himmelhohen Ansprüchen an dich selbst? Und du kennst kein Erbarmen?

Würdest du vielleicht gerne perfekt aussehen, perfekt arbeiten, perfekt wohnen, perfekt lieben, dich perfekt ernähren? Die perfekte Hausfrau, der perfekte Mitarbeiter, die perfekte Tochter, Mutter oder Ehefrau sein? In jeder Situation das Richtige tun und das Richtige sagen? Einfach vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen vollkommen sein?

Und du bist regelmäßig enttäuscht von dir selbst, wütend über dein Versagen, weil du den hohen Ansprüchen doch nicht gerecht wirst? Kannst dich aber auch nicht mit weniger zufrieden geben?

Dann ist diese Challenge für dich! Nimm sie dir so richtig zu Herzen! 🙂 Du erfährst nämlich, warum Perfektionismus weder dich noch die Welt weiterbringt, und, wie du das Streben nach Perfektion in eine bessere Richtung lenken kannst.

Das ist der wahre Grund für Perfektionismus

Der Grund, warum der Perfektionismus so viele von uns durchs Leben peitscht, ist nicht etwa die pure Freude an persönlicher Spitzenleistung oder der Ansporn, tatsächlich als weltbeste Mitarbeiterin, Bäckerin oder Mutter von dieser Erde gehen zu wollen.

Der wahre Grund ist: Angst.

Angst, von anderen kritisiert und verurteilt zu werden, Angst vor Scham, Schuld und dem eigenen Versagen.

Deshalb versuchen wir, perfekt zu sein. Denn wer perfekt ist, macht keine Fehler. Wer keine Fehler macht, bietet keinerlei Angriffsfläche für Kritik oder Verurteilung. Der perfekte Mensch wird immer und von allen gemocht und geliebt (so zumindest die Idee).

Und diese Idee eignen wir uns schon früh im Leben an.

Mal wieder liegen die Wurzeln (du ahnst es schon) in der Kindheit begraben

„Fast alle Eltern lassen ihre Kinder wissen und spüren, welche Verhaltensweisen sie sich wünschen und was nicht gern gesehen wird. Liebesentzug oder gar Bestrafung sind schon beim kleinsten Kind die Folge. Es merkt bereits an der Stimme und am Blick von Mama und Papa, dass hier etwas unerwünscht ist, dass es dies oder jenes nicht wieder machen sollte“,

schreibt der Psychologe und Autor Robert Betz in seinem Buch „Raus aus den alten Schuhen“ (8. Auflage, 2011, S. 78f).

Die logische Schlussfolgerung, die viele von uns (und auch schon unsere Eltern, Großeltern usw.) in früher Kindheit gezogen haben: Ich darf keine Fehler machen. Sonst geht es mir schlecht. Wenn ich Fehler mache, werde ich nicht mehr geliebt. Im schlimmsten Fall werde ich ausgegrenzt und bin alleine auf weiter Flur.

Über die Jahre sickert dieses selbstgegebene Gebot immer weiter in uns ein, bis es in den Tiefen des Unbewussten verschwindet, ohne dass wir seine Richtigkeit und Sinnhaftigkeit jemals wieder hinterfragen.

Und so sitzt das Mädchen von damals Jahrzehnte später als erfolgreiche Karrierefrau bis tief in die Nacht in ihrem Büro im 19. Stock und schiebt eine Überstunde nach der anderen, um die perfekte Präsentation hinzubekommen. Aus Angst, den Chef, die Kollegen oder immer noch Mama und Papa zu enttäuschen. Oder noch schlimmer: Aus Angst, sich selbst zu enttäuschen. Denn wenn ich als Perfektionist keinen vollen Erfolg habe, bin ich kläglich gescheitert, habe versagt. Bin ich dann überhaupt noch etwas wert? Habe ich als Normalo überhaupt noch eine Daseinsberechtigung?

Warum Perfektionismus uns und der Welt schadet

Während wir uns also Woche für Woche, Jahr für Jahr am Streben nach Fehlerlosigkeit aufreiben, übersehen wir, dass dieser Weg weder uns noch die Welt, die wir doch eigentlich besser machen wollen, weiterbringt.

Und zwar aus diesen 6 Gründen:

  1. Perfektion ist eine Illusion
    Gerade habe ich im Duden nachgeschlagen, wie „perfekt“ definiert ist. Perfekt bedeutet „frei von Mängeln, vollkommen“.
    Hast du dich schon mal gefragt, wer definiert, was vollkommen und makellos ist? Wann ist ein Mensch z.B. optisch vollkommen? Wenn er blond ist? Brünett? Braunhaarig? Mit oder ohne Sommersprossen? 1,60 m oder 1,80 m groß? 7 Milliarden Menschen auf der Welt haben ihre ganz eigene Vorstellung von Perfektion. Welcher dieser 7 Milliarden Vorstellungen versuchen wir also mit unserem Streben nach Perfektion gerecht zu werden? Selbst wenn wir es schaffen würden, für einen Menschen perfekt zu sein, hätten wir 6.999.999.999 andere Menschen enttäuscht.
    Der Zustand, dass etwas oder jemand perfekt ist, ist also nichts weiter als ein menschlich erdachtes Konzept, ein Konstrukt, eine Idee, eine pure Illusion. Wollen wir unsere wertvolle Lebensenergie wirklich dafür verschwenden, einem Phantom nachzulaufen?
  2. Perfektionismus hemmt
    Perfektionisten brauchen für alles viel zu lange oder werden gar nicht erst fertig. Während all die Macher schon an ihnen vorbeigezogen sind und sich längst im Erfolg sonnen, feilen Perfektionisten noch immer an ihren Projekten und Aufgaben. Manchmal lähmt die Angst auch so sehr, dass Dinge gar nicht erst angepackt werden. Während wir also glauben, Perfektion wäre der Schlüssel zum Erfolg, müssen wir uns leider eingestehen, dass er der Erfolgskiller Nr. 1 ist. Gewinner sind die, die Resultate liefern.
  3. Die Welt braucht nicht noch mehr Perfektionisten
    Perfekte Menschen wollen nirgendwo anecken, weil sie (wie wir gelernt haben) Kritik scheuen. Also verhalten sie sich so angepasst wie möglich. Wenn wir einen Blick auf den aktuellen Zustand unserer Erde werfen, stellen wir allerdings fest, dass das Letzte, was wir brauchen können, noch mehr angepasste Menschen sind. Menschen, die sich wie eine europäische Gurke der Norm unterwerfen und immer brav den Mund halten. Wir brauchen stattdessen Menschen, die mutig genug sind, sich in die Mitte der Arena zu stellen und für ihre Ideen und Überzeugungen einzustehen, die über geltende Normen hinausdenken, Dinge mal anders machen. Und dazu gehört es nun mal, sich Kritik und Anfeindungen auszusetzen – sich verletzbar zu machen. Damit will ich nicht all die klagefreudigen Nörgler, Petzer und Besserwisser auf den Plan rufen. Ich will die Menschen ermutigen, die wirklich etwas zu sagen und zu geben haben. All die Gretas und Malalas da draußen.
  4. Perfekt ist langweilig
    Kürzlich ist mir beim Ausmisten eine uralte DVD aus meiner Schulzeit in die Hände gefallen – Aufnahmen von einem Schülerkonzert, bei dem ich eine Nocturne von Chopin am Klavier gespielt habe. Ich hatte damals natürlich versucht, mein Bestes zu geben und das Stück perfekt zu präsentieren. Als ich mir die Aufnahme nun Jahre später angeschaut habe, bin ich allerdings erschrocken, wie langweilig mein Auftritt war!!! Denn vor lauter Perfektion und Angst, mich zu verspielen, mich zu blamieren, hat die Musik ihre Magie verloren. Perfekt ist schlicht und einfach langweilig. 😉 Perfektion lässt keinen Raum für das Besondere, das Unvorhergesehene, das Außergewöhnliche, mit dem wir tatsächlich glänzen könnten. Und so will ich dir den Rat meiner Klavierlehrerin weitergeben, die immer zu mir gesagt hat:
    „Steffi, bevor du perfekt und langweilig spielst, hau bitte lieber aus vollem Herzen in die falschen Tasten!“
  5. Perfektionismus macht krank
    Der größte Feind des Körpers ist Stress. Perfektionisten haben ständig Stress. Entweder, weil sie für alles ewig brauchen und unter Zeitdruck geraten, oder, weil die allgegenwärtige Angst vor der Meinung anderer sie umtreibt, oder weil sie glauben, immer noch mehr und mehr leisten zu müssen. Der Stresspegel steigt und steigt, bis wir krank werden. Die Erde braucht unsere gesunde Lebensenergie! Für den Umweltschutz, für ein friedliches Miteinander, fürs Füreinanderdasein – aber sicher nicht fürs Perfektsein!
  6. Perfektionisten sind anstrengende Mitmenschen
    Perfektionisten neigen dazu, auch an andere hohe Ansprüche zu haben und häufig an ihnen herumzunörgeln. Nach dem Motto: Bevor du mich kritisierst, kritisiere ich erst mal dich. Wenn der Fokus ständig auf Fehler gerichtet ist, nährt das Streit und stresst alle ringsum. Ein entspanntes Miteinander kann gar nicht mehr genossen werden und die Dankbarkeit für Gemeinschaft bleibt auf der Strecke.

Wie wir den Perfektionismus ablegen

Zugegeben: In einer Zeit, in der Burn-out schon fast als Statussymbol gilt, tausende Youtuber und Blogger uns täglich erzählen, wie wir noch besser, noch schöner, noch reicher werden können, und viele Chefs Mitarbeiter, die pünktlich Feierabend machen, für unverschämt und faul halten, ist es gar nicht so leicht, sich vom Perfektionismus zu lösen.

Wenn du aber trotzdem oder gerade deswegen Lust hast – zumindest ein Stück weit – deine zu hohen Ansprüche loszulassen, empfehle ich dir, folgende Übung (immer wieder) in deinen Alltag zu integrieren.

Übung:

  1. Überlege dir in Ruhe, in welchen Bereichen deines Lebens du zum Perfektionismus neigst… In der Arbeit? Im Haushalt? Wenn du Gäste erwartest? Kannst du dich vielleicht sogar in eine Situation versetzen, in der du ihn zuletzt ganz deutlich gespürt hast?
  2. Erlaube es dir, den Perfektionismus körperlich wahrzunehmen. Sitzt er dir im Nacken? Oder auf der Brust? Im Magen? Spannen sich Muskeln an, wenn du denkst, gerade jetzt perfekt sein zu müssen? Wenn ja, wo? In den Armen? In den Beinen? In der Stirn?
  3. Wenn der Perfektionismus, der dich peitscht und knechtet, eine Gestalt hätte, wie würde er aussehen? Ein feuerroter Stier mit spitzen Hörnern? Ein kleiner fieser Gnom?
  4. Beginne nun, diese Gestalt zu verändern, sodass sie nicht mehr so unangenehm wirkt. Du kannst z.B. ihre Farbe, Größe, Konsistenz, Augen verändern. Alles, was du möchtest, bis sie ihre Macht über dich verliert und bedeutungslos wird. Spüre, wie sich auch dein Gefühl zu der Gestalt verändert. Wie sich dein Körper allmählich entspannt. Wenn es nicht gleich funktioniert, kein Problem! Versuche es immer mal wieder oder tue so, als würde es funktionieren.
  5. Atme tief durch und genieße das gute Gefühl, jetzt frei vom Anspruch auf Perfektion zu sein – befreit vom Perfektionsmonsterchen. Oder tue erst mal nur so, als könntest du es fühlen – auch wenn es nur für ein paar Sekunden ist und deine volle Konzentration erfordert: Wie würde es sich anfühlen? Welches neue Lebensgefühl würde sich in dir breit machen? Welche Handlungsmöglichkeiten könnten sich auftun? Welche Freiheiten würdest du dir erlauben? Wofür wäre nun Platz und Zeit, wenn diese Gestalt keinerlei Macht mehr über dich hätte?
  6. Vielleicht kannst du die einst so fiese Gestalt und ihre bedrückende Energie jetzt sogar in etwas Positives verwandeln, sie in eine Art Helfer und Partner verwandeln, der für und mit dir anstatt gegen dich arbeitet. Wobei könnte sie dir helfen? Was könntet ihr gemeinsam erreichen?

Mach dir bitte bewusst:

Ich will dich nicht dazu motivieren, deine Ansprüche runterzuschrauben und eine Mir-ist-alles-Wurscht-Einstellung zu kultivieren. Es spricht nichts dagegen, hohe Standards zu haben und immer sein Bestes zu geben. Aber dieses gesunde, menschliche Streben unterscheidet sich vom leidbringenden Perfektionismus deutlich. Während es beim einen darum geht, Freude zu haben am Lernen, Experimentieren, Fehler-Machen, Erfahrungen-Sammeln, Entwickeln und Wachsen, geht es beim anderen um einen Zwang, der uns lähmt, einschränkt und belastet. Während das eine anspornt und beflügelt, raubt das andere Energie und macht krank.

Deshalb kommt hier meine Challenge für uns…

Challenge:
Lasst uns in den nächsten Wochen versuchen, unser inneres Streben nicht mehr als egozentrisches Selbstvervollkommnungs-Projekt zu sehen, das uns innerlich zermürbt. Lasst uns stattdessen den Griff ein wenig lockern und mit unserer süßen Einzigartigkeit einfach nur gut genug sein. Gemeinsam gut genug sein für eine bessere Welt.

So wie du bist machst du die Welt besonders! Danke! 🙂

Deine

Stephanie