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Eine Sache konnte ich immer besonders gut: Mich schuldig fühlen. Oder wie ich es formuliert habe: „Ein schlechtes Gewissen haben“.

Kennst du auch dieses Gefühl?

Dieses dumpfe, nagende Gefühl, etwas Schlechtes getan zu haben?

Ich habe auf fast jedem Quadratzentimeter meines Lebens einen Grund gefunden, mich schuldig zu fühlen…

  • …weil ich etwas zu meiner Arbeitskollegin gesagt habe, was sie in den falschen Hals bekommen haben könnte.
  • …weil ich den ganzen Samstag sinnlos auf der Couch verbracht habe.
  • …weil ich die Umwelt verpestet habe, wenn ich mit dem Flieger in den Urlaub geflogen bin, und mir dann auch noch ein armer Einheimischer die Strandliege zurechtrücken musste.
  • … weil ich meinen Vater bei unserem letzten Telefon abgewürgt habe und er zwei Tage später tot war.
  • … weil ich noch immer keine bewegende Rede vor den Vereinten Nationen gehalten habe, die endlich den Weltfrieden ausgelöst hat.

Auch vielen Klienten, die in meine Praxis kommen, hängt ein schweres Schild um den Hals, auf dem mit dickem, schwarzem Filzstift geschrieben steht: „ICH BIN SCHULDIG“.

Ich hatte zum Beispiel mal eine Klientin, die nicht nur ein zauberhaftes, freundliches Wesen hatte, sondern auch noch unglaublich gut aussah. Während der Hypnose stellte sich heraus, dass sie sich schuldig fühlte, weil es ihr und ihrer Familie so gut ginge, wo es andere doch so schwer hätten.

Ein anderer Klient erzählte mir, dass er eigentlich gar kein Recht hätte, auf der Welt zu sein. Denn nur weil sein älteres Geschwisterchen nach der Geburt starb, haben die Eltern noch mal ein Kind bekommen. Seine Logik: Das Geschwisterchen musste sterben, damit er auf die Welt kommen durfte. Deswegen hatte er Schuldgefühle.

Ja, die Psyche ist sehr erfinderisch im Kreieren von Schuldgefühlen. Und sicher ahnst du es schon… nicht alle Schuldgefühle tun uns gut…

Die 2 Arten von Schuldgefühlen

Es gibt grob gesagt zwei Gruppen von Schuldgefühlen:

  1. Gesunde Schuldgefühle
  2. Ungesunde Schuldgefühle

Gesunde Schuldgefühle

… sind Schuldgefühle mit tatsächlicher Schuld. Wir haben jemandem tatsächlich Unrecht, Schmerz, Schaden zugefügt, etwas gestohlen oder haben volltrunken mit dem Auto einen Hund überfahren.

Gesunde Schuldgefühle sind eigentlich gar nicht so übel. Ohne sie würde die Welt nämlich schnell im Chaos versinken und wir würden uns gegenseitig zerfleischen.

Tatsächlich gibt es Menschen, die keinerlei Schuldbewusstsein empfinden können. Ihnen diagnostiziert man oftmals eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Typisch für diese Persönlichkeitsstörung sind Verantwortungslosigkeit und die Missachtung jeglicher Normen und Regeln ohne jede Reue. Unter diesen Menschen sind nicht selten Mörder und Betrüger, aber auch erfolgreiche Topmanager, denen ihre dissozialen Persönlichkeitszüge halfen, in die obersten Chefetagen aufzusteigen.

Ungesunde Schuldgefühle

… sind dagegen Schuldgefühle ohne wirkliche Schuld. Wir fühlen uns schuldig, ohne dass wir objektiv betrachtet etwas Verwerfliches getan hätten, weil wir z.B. unser Kind bis zum späten Nachmittag in die Kita geben, da wir berufstätig sind. Oder weil wir die Oma schon lange nicht mehr im Altersheim besucht haben. Bei ungesunden Schuldgefühlen haben wir kein echtes Fehlverhalten an den Tag gelegt, sondern glauben lediglich, wir hätten andere unglücklich gemacht.

Ungesunde Schuldgefühle werden oft noch verstärkt von Schuldeinflüsterern. Das sind Leute, die anderen ständig bewusst oder unbewusst, direkt oder unterschwellig das Gefühl geben, etwas falsch gemacht zu haben:

„Hättest du gesünder gekocht, wäre ich heute nicht schwer krank“, „Ich fühle mich ständig so allein, weil mich niemand besucht“.

Schuldeinflüsterer schlüpfen gern in die Rolle des Opfers und machen andere zum Täter.

Manchmal werden schon Kinder zu Tätern gemacht, indem sie von klein auf in einem Klima der Schuld aufwachsen. Sei es, weil Karrieren wegen Schwangerschaften beendet werden mussten, weil man kein Bub, sondern Mädchen geworden ist, oder weil man im Glauben an einen strafenden Gott, der alles sieht, erzogen wird. Dann empfinden wir ein Leben lang Schuld, ohne zu wissen, warum.

Auch wenn eine Welt völlig ohne Schuldgefühle wie gesagt wohl keine Option ist, sollten wir dennoch darauf achten, dass Schuldgefühle im Leben nicht überhandnehmen. Sonst geißeln und zermürben sie uns, machen uns unfrei und saugen unser Lebensglück wie ein Staubsauger auf.

Wie wird man ihnen also Herr oder wird sie sogar ganz los?

Wie man Schuldgefühle los wird,

… denen keine echte Schuld zugrunde liegt

Überleg mal:

Was bedeutet es wirklich, wenn wir uns ständig schuldig fühlen?

Es heißt nichts anderes, als dass wir uns für alles und jeden verantwortlich fühlen. Wir übernehmen die Verantwortung für das Glück und Unglück anderer Menschen:

Wenn ich meine Eltern dreimal pro Woche besuche, mache ich sie glücklich. Wenn ich es nicht tue, sind sie unglücklich. Hätte ich meine Freundin nicht mit diesem Typen verkuppelt, wäre ihr jetzt der Liebeskummer erspart geblieben. Mein Sohn könnte noch leben, hätte ich seine Depression früher erkannt und ihm besser geholfen.

Wir glauben, wir hätten die Allmacht über das Glück oder Unglück der Menschen. Und wenn wir es nicht schaffen, sie durch unser Tun glücklich zu machen, oder denken, wir hätten sie unglücklich gemacht, dann haben wir versagt und sind schlechte, böse Menschen.

Spürst du diese unglaubliche Last auf deinen Schultern?

Es ist an der Zeit, die Last abzulegen.

Wir haben es nicht unter Kontrolle, wie ein Mensch von uns Gesagtes oder Getanes (bzw. nicht Gesagtes oder Getanes) aufnimmt, was er daraus macht. Sonst würde das ja im Umkehrschluss bedeuten, wir wären selbst ständig Spielbälle in den Händen anderer und sie könnten bestimmen, wie wir uns fühlen. Indem wir uns selbst ständig zu Tätern machen, entziehen wir anderen ihren freien Willen und ihre Entscheidungsgewalt und machen sie zu unseren Opfern.

Vielleicht schlüpfen manche Menschen in deinem Umfeld gern in diese Opferrolle und behaupten, du hättest sie unglücklich gemacht. Aber in Wirklichkeit machst nicht du oder das, was du tust, sie unglücklich, sondern die Art und Weise, wie sie damit umgehen, was sie darüber denken und fühlen.

Selbst, wenn ich hundertmal über meine Worte gegenüber der Arbeitskollegin nachgedacht hätte, hätte sie es trotzdem in den falschen Hals bekommen können, weil sie vielleicht besonders empfindlich ist und gerne die Worte anderer verdreht.

Unsere Eltern haben die Wahl, ob sie sich ärgern, weil wir sie nur alle zwei Wochen besuchen, oder ob sie stolz auf ihre Kinder sind, weil sie einen tollen Job haben, der einfach nicht mehr Freizeit zulässt. Sie könnten sich ein schönes Hobby suchen, um ihre Freizeit zu gestalten, anstatt dauernd nur auf den Besuch der Kinder zu warten. Oder, oder, oder…

Geben wir den Menschen also ihre Verantwortung zurück.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir jetzt alle zu Egoisten werden sollten. Natürlich ist es wichtig, für Freunde und Familie da zu sein und die Konsequenzen der eigenen Worte und Handlungen im Blick zu haben. Ganz klar tragen wir in vielen Bereichen auch eine Mitverantwortung, z.B. beim Schutz der Umwelt oder einem guten Miteinander in der Gesellschaft. Aber tun wir es doch lieber aus einem freien Willen und fester Überzeugung heraus, anstatt als Knechte unserer Schuldgefühle.

Ich bin mir sicher, würdest du jetzt ein Screening deiner aktuellen Schuldgefühle machen, könntest du die meisten davon getrost über Bord werfen, weil es keine Schuld gibt, sondern du nur mal wieder den Allmächtigen gespielt hast. 🙂

… denen Schuld zugrunde liegt

Für alle Situationen, in denen wir uns tatsächlich schuldig gemacht haben, gilt: Wir sind Menschen. Wir machen Fehler. Dinge passieren. Wir alle haben Schuld auf uns geladen. Wir alle haben andere verletzt und wurden verletzt. Und wir werden es auch in Zukunft tun. Das ist das Leben.

Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein…

Wir haben uns vielleicht falsch verhalten, aber deswegen sind wir keine falschen Menschen.

Was aber können wir tun, um besser mit diesen Schuldgefühlen umzugehen?

Phase 1

Gestehen wir uns unsere Schuld ein! Laufen wir nicht davor weg, sondern schauen wir sie an und übernehmen Verantwortung dafür. Überlege dir, warum du in dieser Situation so gehandelt hast. Dachtest du, es wäre in diesem Moment tatsächlich das Beste? Warst du vielleicht Marionette deiner überschäumenden Emotionen oder alter Verhaltensmuster?

In der Grundschule habe ich einmal meinem Banknachbarn den Stuhl weggezogen, als er sich hinsetzen wollte. Ich habe in diesem Moment nicht weitergedacht. Mir war es vermutlich einfach nur wichtig, witzig und irgendwie cool zu sein. Der Junge hat sich ganz schön weh getan und ich hatte ungelogen noch Jahrzehnte später Schuldgefühle deswegen.

Akzeptieren wir, dass wir es zum damaligen Zeitpunkt nicht besser konnten, sonst hätten wir es getan. Und lernen wir aus unseren Fehlern.

Phase 2

Oft hilft es, Schuldgefühle mitzuteilen.

Letzte Woche ist in meinem Leben etwas Wunderschönes passiert. Meine beste Schulfreundin und ich hatten uns aus absolut dämlichen Gründen während des Abis verstritten und hatten danach keinen Kontakt mehr. Letzte Woche haben wir fast vier Stunden lang telefoniert und auch über unsere Schuldgefühle, die uns beide all die Jahre geplagt hatten, gesprochen. Das war das beste Telefonat, das ich seit Jahren hatte.

Was ich sagen will: Greif zum Hörer oder Stift und Papier und lass den betreffenden Menschen wissen, was dich quält. Vielleicht hast du außerdem noch das Bedürfnis, etwas Bestimmtes zu tun, um dein „Schuldkonto“ auszugleichen, deine Schulden zu begleichen.

Phase 3

Am Ende wartet die wichtigste und schwierigste Frage auf dich: Kannst du dir selbst vergeben?

Unsere „Opfer“ vergeben uns oft schnell. Aber das hilft uns nicht. Entscheidend ist, ob wir uns selbst die Schuld erlassen können. Wenn nicht, frage dich: Unter welchen Umständen könnte ich mir vergeben? Müsste vielleicht etwas Bestimmtes noch getan oder gesagt werden? Oder glaube ich, dass das, was ich getan habe, gar unverzeihlich sei?

Der Weg des Friedens, der Vergebung und Aussöhnung mit sich selbst ist oft ein langer und der vielleicht schwierigste Prozess überhaupt. Setz dich nicht unter Druck. Versuch einfach immer und immer wieder, die Waffen niederzulegen, und aufzuhören, dich selbst zu bekämpfen.

Sich verzeihen heißt nicht, dass du das Verhalten gut findest, sondern dass du dir erlaubst, Fehler zu machen.

Sprich es ruhig laut aus: Ich vergebe mir. Versuch es immer wieder und befreie dich allmählich aus dem Kerker, in den du dich gesperrt hast.

Ich hoffe, Challenge #13 öffnet dir die Augen dafür, dass du dich im Leben schon so oft schuldlos auf die Anklagebank gesetzt hast. Mach dir bewusst, welch harter, gnadenloser Richter du warst. Jetzt ist es an der Zeit, einmal mit gütigen, vergebenden Augen auf dich zu schauen und den Schmerz freizugeben, damit er geheilt werden kann.

Wenn du das Gefühl hast, es nicht alleine zu schaffen, dann such dir einen Therapeuten, Freund oder anderen Menschen deines Vertrauens, der dir hilft. Du bist nicht auf der Welt, um als Sklave deiner Schuld zu verkümmern. Oft glauben wir, ewig in der Hölle schmoren zu müssen für das, was wir getan haben. Aber ich versichere dir, es gibt Wege aus dem Kerker der Schuld, es gibt auch für dich ein Leben in Freiheit.

Challenge #13:

Schreibe dir eine Liste mit mindestens 5 Schuldgefühlen, die dich belasten. Prüfe anhand deines neuen Wissens, ob du dich WIRKLICH schuldig gemacht hast. Wenn ja: Was kannst du tun, um dich besser zu fühlen? Wenn nein: Dann wirf die Schuldgefühle ein für alle Mal über Bord oder schick sie zurück zum Absender, jede weitere Annahme ab sofort verweigert!

Viel Erfolg und alles Liebe von Herzen! :-*

Deine

Stephanie

Inspiriert von:

  • Baer, U. & Frick-Baer G. (2014): Das große Buch der Gefühle. Beltz Verlag.
  • Y.-A. Thalmann (2012): Das kleine Übungsheft. Endlich frei von Schuldgefühlen. Trinity Verlag.